Baustein für ein gesundes Ernährungssystem
Was braucht es, um regionale Landwirtschaft langfristig zu erhalten und interessierten Menschen den Zugang in diesen Sektor zu ermöglichen? Immer mehr Initiativen nehmen sich dieser Fragen an und finden innovative Lösungen für einen zukunftsfähigen Umgang mit dem Thema Generationswechsel – mit richtungsweisenden Konsequenzen für den ländlichen Raum. Ein gesundes, lebendiges und zukunftsfähiges Ernährungssystem braucht vielfältige, kleinstrukturierte und regional eingebettete landwirtschaftliche Betriebe, die mit Kompetenz und Fürsorge qualitativ hochwertige Lebensmittel produzieren (vgl. IAASTD 2008).
Gesundheit ist, wenn auch oft nicht explizit, ein Thema, das sich durch alle Ebenen landwirtschaftlicher Produktion zieht: auf Produktebene geht es um Schadstofffreiheit und Nährstoffgehalte, auf der Herstellungsebene um Arbeitsweisen, die für die ProduzentInnen wie auch für die Gesellschaft langfristig tragbar sind und keine direkten oder indirekten Gesundheitsschäden mit sich tragen; auf der Vermarktungsebene um Frische und ausgewogene Ernährung; und auf Systemebene um die Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe, den Erhalt von Ökosystemen und eine klimagerechte Gestaltung des Ernährungssystems.
Gesunde Höfe für ein gesundes Ernährungssystem
Landwirtschaft ist also im Idealfall ein immens wichtiger Faktor in der Gesundheit einer Gesellschaft. Gesunde Lebensmittel als Basis eines gesunden Ernährungsstils sind eine Grundvoraussetzung für persönliches Wohlbefinden, doch aufgrund ihrer vielen Funktionen wirkt sich die Landwirtschaft auch viel umfassender auf die Gesundheit von Mensch und Umwelt aus.
Doch wie sieht es mit den Betrieben selbst aus? Wie hängt das alles mit dem wachsenden Phänomen des Höfesterbens zusammen? Was braucht es für ‚gesunde’ Höfe, die auf lange Sicht in der Lage sind, all diese Funktionen zu erfüllen? Die detaillierte Beantwortung dieser Frage sprengt mit Sicherheit den Rahmen dieses Artikels, doch ein oft vernachlässigtes Schlüsselthema im Kontext einer zukunftsfähigen Betriebsentwicklung ist der funktionierende Generationswechsel: Es braucht einen gesunden Umgang mit dem Thema Hofübergabe.
Höfesterben – ein unabwendbares Schicksal?
Laut dem Grünen Bericht 2017 schließen in Österreich seit 2013 ca. 1700 Betriebe pro Jahr, also 4-5 Betriebe pro Tag – das ist zwar weniger als in den Jahren davor, aber dennoch eine rasante Entwicklung. Dass Betriebe nicht weitergeführt werden, hat verschiedenste Gründe, und fehlende NachfolgerInnen in der Familie sind nur einer davon. Obwohl die Überalterung der landwirtschaftlichen BetriebsleiterInnen in Österreich tendenziell weniger dramatisch ist als im EU-Durchschnitt, sind immerhin nur 15% der BetriebsleiterInnen unter 35; bei 29% der Betriebe ist die Hofnachfolge nicht geklärt (vgl. Quendler et al. 2015). Wenn Höfe aber keine Nachfolge finden, werden ihre Flächen meist von anderen, größeren Betrieben übernommen und es wird dem Mantra vom ‚Wachsen oder Weichen’ gefolgt. Welchen Verlust das sowohl auf menschlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene bedeutet, wird dabei zu oft außer Acht gelassen.
Für die Altbauern und –bäuerinnen, die ihr oft seit Generationen weitervererbtes Lebenswerk nicht oder nicht zeitgerecht in die Hände vertrauenswürdiger NachfolgerInnen weitergeben können, ist dies nicht nur ein großer emotionaler Verlust, sondern kann durchaus auch gesundheitliche Folgen haben: Viele arbeiten zu lange weiter, obwohl sie schon nicht mehr können. Erst, wenn es gar nicht mehr anders geht, konfrontieren sie sich mit der schwierigen Entscheidung zur Betriebsaufgabe (vgl. Brunmayr 2015: 75-76). Gleichzeitig ist es auch für potentielle HoferbInnen oft ein belastendes Thema: die Verantwortung dafür zu tragen, ob der Hof weitergeführt wird oder nicht, ist eine so emotional behaftete und mit Druck verbundene Anforderung, dass sie den eigenen Ausbildungs- und Berufsweg massiv beeinflussen kann und das Gefühl, frei entscheiden zu können, in zu vielen Fällen fehlt. Das kann auch erhebliche Belastungen für das familiäre Sozialgefüge bedeuten. Dieser Druck entsteht oftmals durch das drohende Aus des Hofes, da Landwirtschaft eher als Schicksal denn als bewusst getroffene Entscheidung wahrgenommen wird. Wenn niemand der Kinder zur Nachfolge bereit ist oder es keine Kinder gibt, wird außerfamiliäre Hofübergabe noch in eher geringem Ausmaß als Alternative in Betracht gezogen.
Neue Landwirt*innen – neue Perspektiven
Aufgrund des durchdringenden Wesens der neoliberalen Logik vom ‚Wachsen oder Weichen’ und der damit einhergehenden zunehmenden Abwertung kleinstrukturierter Betriebe kommen viele alternde LandwirtInnen gar nicht dazu, sich mit den Alternativen zu einer Hofnachfolge in der Familie zu beschäftigen: Es muss über den Tellerrand geschaut werden, um Denkmuster aufzubrechen.
So gibt es seit einigen Jahren immer mehr Initiativen, die neue Wege des Umgangs mit der Hofnachfolge-Thematik gehen: sei es durch rechtzeitige Aufklärungs- und Bewusstseinsbildungsarbeit, um BetriebsleiterInnen schon viel früher zur Auseinandersetzung mit der Zukunft ihres Hofes zu animieren und dabei kompetent zur Seite zu stehen; durch die Förderung, Ausbildung und Unterstützung motivierter QuereinsteigerInnen; oder gar durch die Vermittlung möglicher außerfamiliärer HoferbInnen an angehende HofübergeberInnen (vgl. Hagenhofer 2015).
Außerfamiliäre Hofnachfolge ist im Grunde nichts Neues: Rechtliche Möglichkeiten wie die Leibrente, bei der die, die ihren Hof übergeben bis zum Lebensende eine monatliche Summe und je nach Absprache bestimmte Naturalien oder Dienstleistungen als Kaufpreis für ihren Hof erhalten, bieten schon lange die Möglichkeit, Höfe auch außerhalb der üblichen Erblinien auf eine leistbare Weise für Personen, die einen Hof übernehmen wollen, weiterzugeben.
Ein neues Phänomen?
Was aber neu ist, ist ein Phänomen, das van der Ploeg als ‚new peasantries’ bezeichnet (vgl. Ploeg 2008), das neue Kleinbauerntum: Immer mehr Menschen ohne landwirtschaftlichen Hintergrund entscheiden sich bewusst für die Landwirtschaft, interessieren sich dabei insbesondere für ökologisch nachhaltige Produktionsweisen und erkunden neue Formen des Wirtschaftens und Zusammenlebens (vgl. Heistinger 2011), die ihren oft idealistischen Ansprüchen gerecht werden. Fernab von romantisierenden Hippies sind diese Menschen oft gut ausgebildet, haben umfassende landwirtschaftliche Erfahrungen im In- und Ausland gesammelt und begegnen den Herausforderungen des kleinbäuerlichen Alltags mit einer Experimentierfreude, einem ‚frischen Blick’ und einem Handwerkszeug in Sachen Vernetzung und Querdenken, die zur Innovationsfähigkeit der Landwirtschaft einen wichtigen Beitrag leisten.
So zeigen Erfahrungen, dass NeueinsteigerInnen oft innovative Ansätze sowohl in der Produktion als auch in der Vermarktung und Finanzierung mitbringen, ihre KonsumentInnen direkter einbeziehen und mit hohen Qualitätsansprüchen überzeugen. Sie arbeiten oft ökologisch (wenn auch nicht immer zertifiziert) und üben ihren Beruf mit Leidenschaft und Überzeugung aus (vgl. Boxtel et al. 2016).
Laut einigen Studien und Erfahrungsberichten (vgl. Hagenhofer 2015; Sutherland, et al. 2015) ist es oft ein starkes Bedürfnis nach (Wieder-)Verbundenheit mit Grund und Boden, mit der Landschaft einer Region und nach der befriedigenden Erfahrung, eigene Lebensmittel zu produzieren, die QuereinsteigerInnen zur Landwirtschaft motiviert. Dazu gehört auch sicherlich eine Sehnsucht nach Transparenz, die Erfüllung des Wunsches, zu wissen woher das eigene Essen kommt. Auch die soziale Komponente spielt eine wichtige Rolle – so wenden sich Neulinge in der Landwirtschaft oft bewusst von einem agro-industriellen Paradigma ab und vertreten mit ihren gemeinschaftsfördernden, regional eingebetteten Ansätzen eher ein agro-soziales Paradigma (vgl. Monllor 2012).
Lösungen für den Generationswechsel
Der Wille und die Bereitschaft zur außerfamiliären Hofübergabe ist also vorhanden – sowohl bei vielen Altbauern und –bäuerinnen, die ihr Lebenswerk weitergeführt sehen wollen, als auch bei jungen Menschen, die ihren Wunschberuf in der Landwirtschaft verwirklichen wollen. Trotz offensichtlicher Interessensüberschneidungen ist es aber nicht immer leicht, dass diese beiden Seiten zusammenfinden: es braucht eine aktive Gestaltung dieser Prozesse, Bewusstseinsarbeit auf beiden Seiten und gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Wichtigkeit des erfolgreichen Generationswechsels und der Landwirtschaft allgemein. In Österreich betreibt Perspektive Landwirtschaft seit 2017 eine Hofbörse, auf der sich aktive und zukünftige Landwirt*innen kennenlernen, austauschen und informieren können.
In ganz Europa gibt es immer mehr solcher Initiativen, die mit unterschiedlichsten Zugängen konstruktiv und innovativ neue Wege für eine zukunftsfähige Landwirtschaft bahnen. Der Erhalt existierender Höfe ist dabei oft ein Grundanliegen. Denn ein gesundes Ernährungssystem steht und fällt mit unserem Umgang mit Boden. Wenn Höfe nicht auf-, sondern weitergegeben werden, bleiben uns Zukunftsfähigkeit und Vielfalt in der Lebensmittelproduktion und in der Struktur und Landschaft des ländlichen Raumes erhalten.